Gegen Leerstände in Kerpen mobil machen

“No longer empty“, „Galerien auf Zeit“ oder zentrales Webkaufhaus. Wie Kaufkraft entwickelt und dauerhaft in der Innenstadt gebunden werden kann.

05.02.2019 Meldungen FDP Kerpen

Die Schlange der Verödung der Innenstadt zieht unübersehbar ihren Weg. Sie hinterlässt ihre Spuren, sichtbar von Schaufenster zu Schaufenster, von Straße zu Straße. Leerstände, wohin man sieht. Verklebte Fenster, wie Pflaster auf Wunden, verunstaltet durch die Fetzen längst vergangener Werbung. Graffiti schmückt die Wände einer Generation, die dem Leerstand und der Verwahrlosung keine Alternativen entgegen zu setzen vermag. Verblichene Geschäftsnamen und dunkle Leuchtreklamen, die Reste einer verblassten, florierenden Zeit, fast wie ein Hilferuf, sich demonstrativ zeigend im Kampf gegen die Verwahrlosung der Innenstadt.

Hilflos muten da die Vorstöße der CDU an, die glauben, nach der Umgestaltung der Hahnenpassage in der Ansiedlung eines Vollsortimenters den Stein des Weisen gefunden zu haben. Das Einzelhandelskonzept der Kolpingstadt, seit Jahren in Diskussion und Umsetzung, ein Fass ohne Boden, ohne erkennbare Veränderung und vor allem ohne den gewünschten Effekt von sichtbar weniger Leerstand.

Schon andere Städte haben hier fehlinvestiert und sind blind den Empfehlungen der vermeintlichen Experten gefolgt. Flickenhafte Planungen anstatt durchgängiger und nachhaltiger Entwicklung. Ohne Zweifel sind Innovations- und Investitionskraft der Stadt von großer Bedeutung bei der Frage zur Attraktivitätssteigerung der Innenstadt und die Frage tut sich auf, ob die Stadt in der Lage und Willens ist, selbst einen Beitrag zur Aufwertung ihrer Innenstadtlagen zu leisten. Auch wenn ersteres sicher an der derzeitigen Haushaltssituation der Kolpingstadt zu scheitern droht, so lohnt es sich dennoch, den Willen zu forcieren. So locken u.a. landesseitige Fördermittel des Bauministeriums im Städtebau zu initiativen Förderungen einzelner Projekte. Alleine im letzten Jahr wurden über 350 Mio. Euro Fördermittel landesweit zur Städteverschönerung, wie z.B. Fußgängerzonen, ausgezahlt. Auch sogenannte Verfügungsfonds, gespeist von Land und Stadt, sind ein profanes Mittel zur Verschönerung und Impulssetzung einer Stadt.

Die Schaffung von Neubaugebieten, der Ruf nach Familien und der Wunsch nach Expansion und Wachstum gehen immer einher mit dem Angebot an Kultur und Versorgung einer Stadt. Eine Stadt ohne den Raum für Begegnung, ohne den Raum für Ideen und ohne die Vielfalt der Einzelhändler wird am Ende die Menschen verlieren, die sie doch braucht, um Veränderungen herbeizuführen.

Noch immer stehen die angedachten Räumlichkeiten für den Vollsortimenter im Herzen der Stadt leer und noch immer wird über Parkraum mit möglichen Investoren gestritten. Steuergelder werden in Sitzungen ohne Ergebnis verbrannt und – ungeachtet der Verhandlungen – wandern weiter die angrenzenden Einzelhändler ab. Man muss nicht weise sein, um zu verstehen, dass kein neuer Einzelhändler zum Anmieten eines Gebäudes zu bewegen ist, wenn rechts und links die Leerstände wachsen oder von wenigen, gesichtslosen Billigketten in Beschlag genommen werden.

Dem drohenden Aussterben des Innenstadthandels lässt sich wahrscheinlich nur begegnen, wenn Gewerbetreibende, Immobilienbesitzer, Stadt und die Aktionsgemeinschaft Kolpingstadt Kerpen (AKG) alle ihre Kräfte bündeln, Mittel in die Hand nehmen und neue Wege bestreiten. Neue Chancen, dem Leerstand zu begegnen, müssen erarbeitet und umgesetzt werden und bis dahin darf man durchaus den erfolgreich umgesetzten Konzepten anderer, mutiger Vorreiter folgen, mit dem Ziel, die Stadt ein Stück aus weiter attraktiver und lebenswerter zu gestalten.

Erfolgreiche Modelle, die Leerstände nicht nur temporär, sondern auch für das Stadtbild bereichernd und dauerhaft zu füllen, gibt es genug. Die Aussicht, damit auch jungen Start-ups eine Chance zur Entwicklung zu geben und erfolgreich in die Konzepte einzubinden, macht viele von ihnen alleine aus diesem Grund schon interessant genug.

„No longer empty“ ist eine Initiative aus New York, die Kunst und Kultur in Leerständen, quasi Galerien auf Zeit, ausstellt. Bundesweit greifen Initiativen in Zusammenarbeit mit Eigentümern und Verwaltung diese Idee auf, die Leerstände von Ladenlokalen mit künstlerischem Leben zu füllen. Städte von Düren bis Frechen, Kassel und Oberhausen sind nur einige wenige hier benannte. Besonders erfolgreich und als Maßstab vieler anderer Initiativen im Land arbeitet in Braunschweig die „Galerie auf Zeit – Räume für Kunst“. Seit nunmehr 17 Jahren werden hier nomadisierend Leerstände in Galerieräume verwandelt. Fragt man die Bürger in Braunschweig, so ist der überwiegende Tenor positiv. Neben einfachen Präsentationen zeitgenössischer Kunst von ortsnahen Künstlern prägen auch ganze Ausstellungen hochkarätiger Künstler mit Raumnutzung das Konzept. Neben dem Interesse der Kunstinteressierten, die zu Ausstellungen kommen, wandeln sich die trüben Schaufenster en passant in eine Oase der Farben und Themenwelten und sorgen so für ein schöneres Stadtbild.

Doch auch andere Modelle sind neben der reinen Ausstaffierung von Schaufenstern denkbar und ebenfalls schon erfolgreich umgesetzt worden.

Laut dem Handelsverband Deutschland sank die Produktivität aller Verkaufsflächen im Land in den vergangenen zehn Jahren um rund 10 Prozent mit dem Ergebnis eines Preiskampfs und Verdrängungswettbewerbs, dem gerade die kleinen oder jungen Unternehmen ausgeliefert sind. Um in diesem Umfeld überhaupt erst eine Chance für einen Marktauftritt zu bekommen und die Aufmerksamkeit einer anvisierten Zielgruppe zu erlangen, bedarf es kreativer Verkaufskonzepte mit dem Ziel, die sinkende Flächenproduktivität zu kompensieren. Zunehmend nutzen Unternehmen deshalb sogenannte Pop-up-Stores als innovative Distributionsform.

Pop-up-Stores (auch Guerilla-Stores genannt) sind temporäre Ladeneinheiten, die auf überraschende und kostengünstige Weise Produkte inszenieren, um die Aufmerksamkeit der Kunden auf sich zu ziehen. Nicht nur die ungewöhnliche Art der Präsentation in Leerständen lockt Kunden an, sondern auch die oftmals signifikant preisreduzierten Waren.

Der erste Pop-Up-Store in Deutschland wurde bereits 2004 vom Modelabel Comme des Garçons in einer ehemaligen Berliner Bücherei eröffnet und verlieh dem Label seiner Mode ein einzigartiges Image. Bewusst behielten die Initiatoren den Zustand des Gebäudes so bei, wie sie ihn vorfanden. Möbel vom Flohmarkt und Wasserleitungen als Kleiderständer wurden genutzt, um eine „Secondhand-Atmosphäre“ zu kreieren. Sie rückten das Produkt und nicht die Verpackung erfolgreich in den Mittelpunkt und die Kundschaft ließ nicht lange auf sich warten. Ungeachtet seiner Wirtschaftlichkeit schloss Comme des Garçons den Store nach einem Jahr wieder und eröffnete zwischen 2004 und 2009 weltweit insgesamt 37 Pop-up-Stores unter anderem in Basel, Beirut und Warschau.

Seit Jahren schon wird dieses Verkaufskonzept bundesweit so oder in ähnlicher Form zum Beispiel in Schwäbisch Gmünd oder in Stuttgart mit großem Erfolg umgesetzt. Nicht nur vermeintlich trendige Produkte wie Mode oder Sportswear profitieren von diesem Konzept, auch die auf dem ersten Blick eher konventionellen Produktkategorien wie Haushaltsgeräte oder Lebensmittel. Dass auch große Konzerne dem Konzept gegenüber offen sind, bewies 2015 der Automobilhersteller Lexus, der in Köln einen sehr erfolgreichen Store eröffnete.

Neben diesem ungewöhnlichen, verkaufsfördernden Marktauftritt großer und kleiner Konzerne bietet aber auch gerade die zeitlich begrenzte Nutzung von Immobilien jungen Start-ups eine großartige Chance, ihre Produkte vorzustellen und die Akzeptanz des Marktes vor einer Neugründung auszuloten. Sowohl die Stadt als auch der Immobilienbesitzer partizipieren vom Erfolg dieser Strategie. Die temporäre Beseitigung von Leerstand sowie potentielle, dauerhafte Neugründungen beleben nicht nur die Innenstadt, sondern binden auch die Kaufkraft vor Ort. Auch wenn sich die Effekte dieser „Standorttreue“ nicht genau beziffern lassen ist, doch anzunehmen, dass sich bei sorgfältiger Beratung und Betreuung weitere Neugründungen, dem Schneeball-Prinzip folgend, ansiedeln werden.

Das Projekt „Cityfreiraum Ingolstadt“, das sich dieser Form bedient, hat hier bereits erste messbare Kenngrößen offenbart. Junge Existenzgründer wie Fahrradhändler, Gewürz- und Teeanbieter, Schneider, Snowboardhändler und Game Store Profi haben erfolgreich die erste Phase der Eigenständigkeit überwunden und Leerstände erfolgreich mit ihren Geschäftsmodellen gefüllt. Der Erfolg spricht für sich.

Man muss sich nichts vormachen. Die Zeiten, in denen es ausreichte, ein Schaufenster nett zu gestalten und den Kunden mit einem Lächeln zu begrüßen, sind im Jahrhundert des Internets vorbei. Um temporäre Belebung und dauerhafte Begehung der Stadt zu erreichen, helfen bloße Apelle wie „Kauft in der Innenstadt, die Stadt in der ihr lebt“ nicht weiter. Niemand zieht einen Fisch von einem Teller, wohlwissend, dass es größter Umwege bedurfte, ihn zu servieren. Was sollte da noch frisch sein?

Es gilt, die Anpassung des Einzelhandelskonzepts an die Gegenwart zu erreichen und die Grundidee von Online-Riesen wie Amazon kommunal, zum Nutzen des Einzelhandels und der Konsumenten aufzugreifen und umzusetzen. Nicht der Wandel vom Einzelhandel im Ladengeschäft hin zu einem reinen Onlinehandel steht dabei im Vordergrund, sondern vielmehr die Verzahnung von beiden Distributionsmodellen. Nur wenn der Einzelhandel einer Stadt wirtschaftlichen Erfolg hat, wird er dauerhaft überleben.

Zentrale „Webkaufhäuser“ lautet hier das Konzept der „Zweckgemeinschaften“ des lokalen Handels. Ein Modell der Zukunft, das bereits in weiten Teilen der Republik erfolgreich umgesetzt wurde. Der Zusammenschluss lokaler Händler über eine zentrale, digitale Plattform zur Vermarktung von Waren, ähnlich dem Konzept der großen Online-Anbieter. Verbunden mit kundenfreundlichem Service, wie zum Beispiel der Lieferung innerhalb der Stadtgrenzen am Tag der Bestellung, ist ein Konzept, das dem aufstrebenden, modernen Sofahandel und Zeitgeist entspricht, wobei stressfreier Einkauf ohne die Suche nach freiem Parkraum, einhergehend mit Kaufkraftbindung innerhalb der Stadtgrenzen, möglich ist. Wer anders als die zentralen Versorger einer Stadt können derart konsumentenfreundlich agieren.

Dass nicht nur große Städte wie Düsseldorf oder Bonn mit ihrem weitgefächerten Warenangebot für ein erfolgreiches Umsetzen in Frage kommen, hat 2015 die rund 25000 Einwohner zählende Hansestadt Attendorn bewiesen. Neben Langenfeld oder Wuppertal, die bereits 2014 ein Webkaufhaus ins Leben riefen, hat die kreisangehörige Stadt die Digitalisierung des Handels als ein lokales Kaufkraftbindungswerkzeug erkannt und erfolgreich, kommunal unterstützt, umgesetzt. 32 Händler bedienen den Online-Marktplatz und leben den sogenannten „Local Commerce“ (E-Commerce + Stationärer Handel) erfolgreich und parallel zum klassischen Ladenlokal aus.

Es gibt sie also, die Alternativen und Chancen für die Innenstädte. Es gibt sie, die erfolgreichen Modelle, die sich dem Sterben der Innenstädte entgegenstellen und es gibt sie, die Modelle, den ansässigen Handel in das digitale Zeitalter zu führen und Kaufkraft zu binden. Langfristig lässt sich mit ihnen nicht nur vorhandenes Gewerbe erhalten, sondern auch die überall dringend benötigten Neugründungen fördern.

Sicher, es bedarf Fachleute, die sich der Komplexität annehmen, die Modelle prüfen und umsetzen.

Und sicher, es gibt sie, die Fachleute in der Stadt. Man müsste sie nur einmal fragen…

			

				
				

Rüdiger Schmidt

Beisitzer im Stadtverband, sachkundiger Bürger der FDP-Fraktion

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