Auswirkungen des Urteils des OVG Münster bzgl. Abwassergebühren

Anfrage an den Bürgermeister

25.05.2022 Anfrage FDP-Fraktion Kerpen

Sehr geehrter Bürgermeister Spürck,

am Dienstag, den 17.05.2022, hat das OVG Münster über die Berechnung der kalkulatorischen Zinsen bei Abwassergebühren geurteilt. Nach diesem Urteil sind diese in den vergangenen Jahren auf Basis einer falschen Grundlage berechnet worden. Laut Experten hat das Urteil Folgen in Millionenhöhe.

Dementsprechend dürfen Hausbesitzer:innen und damit auch Mieter:innen nach diesem Urteil damit rechnen, dass ihre Gebührenbescheide (bzw. Nebenkostenabrechnungen) künftig niedriger ausfallen. Dies hat jedoch auch Auswirkungen auf den städtischen Haushalt, in welchem demnach Gebühren in Millionenhöhe fehlen könnten.

Daher bitten wir um die Beantwortung folgender Fragen:

  1. Wie stellt sich die Situation in der Kolpingstadt Kerpen dar? Wie viele Widersprüche gegen Kerpener Abwasserbescheide liegen derzeit vor? Wie groß ist auf 10 Jahre betrachtet die Differenz zwischen angesetzter Verzinsung und rechnerisch ermittelter?
  2. Wie hoch wird in der Kolpingstadt Kerpen die Summe eingeschätzt, die nun im Rahmen von geltend gemachter Einsprüchen zurückgezahlt werden müssen?
  3. Welche Auswirkungen auf den Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung ergeben sich daraus?
  4. Wie beabsichtigt die Stadt mit den Widersprüchen zu verfahren?
  5. Welche Änderungen wird die Stadt bei den Abwasserbescheiden künftig vornehmen?

Die Verwaltung hat im Juni unsere Fragen ausführlich und umfassend beantwortet:

Das OVG NRW hat mit Urteil vom 17.05.2022 (Az.: 9 A 1019/20) die seit dem Jahr 1994 geltende, ständige Rechtsprechung zur kalkulatorischen Abschreibung und Verzinsung von langlebigen Anlagegütern (wie z. B. öffentlichen Abwasserkanälen) im Rahmen der Kalkulation von Benutzungsgebühren (hier: Abwassergebühren) aufgegeben und geändert.

Auch wenn die Pressestelle des Gerichts das möglicherweise so kommuniziert, wird mit dem Hinweis auf eine „falsche Berechnung“ die Öffentlichkeit nach meiner Auffassung zu einer unkorrekten Interpretation verleitet. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in der Vergangenheit die Erhebung der Abwassergebühren im Einklang mit der bislang ständigen Rechtsprechung des OVG NRW seit dem Jahr 1994 rechtmäßig gewesen war. Durch die Änderung der Rechtsprechung seit dem 17.05.2022 muss aber nunmehr eine Anpassung an die neuen Rechtvorgaben des OVG NRW erfolgen.

Die Urteilsgründe werden voraussichtlich erst in den nächsten vier Wochen vorliegen.

Erst auf der Grundlage der schriftlichen Urteilsgründe wird dann verlässlich geklärt werden können, wie eingelegte Widersprüche endgültig zu bescheiden sind.

Darüber hinaus wird nach dem Vorliegen und der Auswertung der Urteilsgründe auf der Ebene des Städte- und Gemeindebundes NRW ein Gespräch mit dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung des Landes NRW (MHKBG NRW) angesetzt werden, um auf der Grundlage der neuen Rechtsprechung des OVG NRW das abgesteckte Rechtskorsett für die Erhebung von Benutzungsgebühren bestimmen zu können.

Wie stellt sich die Situation in der Kolpingstadt Kerpen dar? Wie viele Widersprüche gegen Kerpener Abwasserbescheide liegen derzeit vor? Wie groß ist auf 10 Jahre betrachtet die Differenz zwischen angesetzter Verzinsung und rechnerisch ermittelter?

Nach derzeitiger Erkenntnis sind alle im Januar 2022 ergangenen Grundbesitzabgabenbescheide bestandskräftig. Es erfolgten wegen der Grundsteuererhöhung eine Reihe von Widersprüchen, welche aber abschlägig beschieden wurden. Die Klagefrist ist abgelaufen.

Am Tag nach dem Urteil wurde ein einzelner Widerspruch eingelegt gegen den Grundbesitzabgabenbescheid eingelegt, aber wegen Verfristung aus formalen Gründen abgelehnt.

Die Kolpingstadt Kerpen hat 2021 einen kalkulatorischen Zinssatz in Höhe von 5,242% angesetzt aufgrund von Ermittlungen der Gemeindeprüfungsanstalt. Insoweit muss man feststellen, dass auch diese „rechnerisch ermittelt wurden“ auf der Basis der langjährigen Zinserträge und im Einklang mit der bisherigen ständigen Rechtsprechung und nicht lediglich „angesetzt“.

Bedeutende Differenzen sind nur im Entwässerungsgebührenbereich zu verzeichnen mit rund 750.000 € jährlich. Im Bereich Bestattungswesen (ohnehin nicht kostendeckend erhoben) beträgt die Differenz rund 46.000 € jährlich, im Bereich Winterdienst (Salzhalle) rund 2.500 € jährlich. Die Werte wurden aus den Kalkulationen für das Jahr 2022 ermittelt.

Wie hoch wird in der Kolpingstadt Kerpen die Summe eingeschätzt, die nun im Rahmen von geltend gemachter Einsprüchen zurückgezahlt werden müssen?

Bestandskräftige Abgabenbescheide müssen nicht aufgehoben werden, weil gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 b KAG NRW i. V. m. § 130 Abs. 1 Abgabenordnung im Rahmen einer Ermessensausübung dem Prinzip der Bestandkraft eines Verwaltungsaktes der Vorrang vor dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit gegeben werden kann (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2020 – 15 A 734/19 – zum Erschließungsbeitrag; OVG NRW, Urteil vom 18.03.1996 – 9 A 3703/93 – ; OVG NRW, Urteil vom 16.06.1994 –  9 A 128/94 – ; VG Düsseldorf, Urteil vom 31.03.2022 – 17 K 673/10 – ; VG Köln, Urteil vom 30.04.2018 – 14 K 3287/17 – ; VG Köln, Urteil vom 14.06.2012 – 14 K 726/11 – jeweils abrufbar unter: www.justiz.nrw.de).

  • 130 Abs. 1 AO dient nicht dazu, die Folgen eines nicht eingelegten Widerspruchs auszugleichen (so: OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2020 – 15 A 734/19 –  Rz. 25 der Beschlussgründe). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die bestandskräftigen Gebührenbescheide vor dem Urteil des OVG NRW vom 17.05.2022 im Einklang mit dem KAG NRW und der seit dem Jahr 1994 durchgängig geltenden und ständigen Rechtsprechung des OVG NRW ergangen sind.

Gegebenenfalls könnten sich aus der Urteilsbegründung noch neue Aspekte ergeben, womit ich derzeit aber nicht rechne.

Daher dürfte es für 2022 keine Auswirkungen geben.

Welche Auswirkungen auf den Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung ergeben sich daraus?

Die Konsequenzen für den Haushalt werden sein, dass mindestens in oben genannter Höhe Kosten nicht berücksichtigt werden können in der Kalkulation, folglich weniger Gebühren vereinnahmt werden.

Es ist im Urteil – neben dem kalkulatorischen Zinssatz – auch die Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert kritisch gesehen worden. Hierzu müssen die Urteilsgründe abgewartet werden, ehe man hierzu eine verlässliche Einschätzung abgeben kann. Wenn die Abschreibungen nach dem Anschaffungswert angesetzt werden müssen, wäre ein weiterer beträchtlicher Ertragsverlust zu verzeichnen.

Diese Verluste müssten natürlich kompensiert werden.

Wie beabsichtigt die Stadt mit den Widersprüchen zu verfahren?

Siehe 2.

Welche Änderungen wird die Stadt bei den Abwasserbescheiden künftig vornehmen?

Es gilt die Urteilsbegründung und das Gespräch zwischen Landesministerium und Städte- und Gemeindebund abzuwarten und in der Folge die Abwassergebührenkalkulation für das Jahr 2023 entsprechend anzupassen, so dass die Abwassergebührenbescheide 2023 auf dieser Basis ergehen werden.

			

				
				

Alessa Flohe (Piratenpartei)

stv. Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion

mehr erfahren
			

				
				

Wolfgang Pfeil

stv. Stadtverbandsvorsitzender, stv. Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion

mehr erfahren
			

				
				

Dr. Christian Pohlmann

sachkundiger Bürger der FDP-Fraktion

mehr erfahren